Der Manager des Paten

Autobahnbetrug: Strabag-Projektleiter zu drei Jahren Haft verurteilt/Geständnis liefert Mittäter
(DNN, Leipziger Volkszeitung, 28.03.2007)


Chemnitz (DNN). Wer nun exakt die Idee hatte, beim Autobahnbau staatliches Geld in private Kassen abzuzweigen, geht auch aus dem gestrigen Gerichtsurteil nicht hervor. Günther Ibler, einst Projektleiter des Strabag-Baukonzerns in Chemnitz, ist es jedenfalls nicht. Er gilt als keiner der obersten Ebene. Darin stimmten die Richter, Staatsanwalt und Verteidiger überein.

Bevor sich hinter Ibler demnächst die Gefängnistore schließen werden, hat er zunächst selbst Tore geöffnet. Tore in ein dunkles verzweigtes Betrugsnetz. Er tat das in einem Maße, das den Vorsitzenden Richter Markus Zimmermann fast zum Schwärmen brachte: „Das habe ich noch nie erlebt.“ Ibler machte „reinen Tisch“, erlaubt mit einem umfassenden Geständnis Einblick in ein System, dem die Ermittler sonst vielleicht nie auf die Schliche gekommen wären. Dank seiner Gesprächigkeit muss er statt mindestens sechs nur drei Jahre und zwei Monate hinter Gittern absitzen. 14 Monate Untersuchungshaft werden ihm angerechnet.

Ibler hatte wohl nicht die Idee dazu. Aber er war ein maßgebliches Rad, um ein kriminelles Gefüge am Laufen zu halten. Er aquirierte für die Strabag mit Dumpingangeboten große Bauaufträge. Er beeinflusste Mitbieter, die günstiger waren. Er stellte ungedeckte Rechnungen aus, fälschte Leistungsnachweise, um dennoch gewinnbringend zu wirtschaften. Er ließ Firmen gründen und gezielt in die Pleite zu schicken, um Löhne und Sozialabgaben zu prellen. Ob er von sich aus Behördenmitarbeiter mit Bestechungsgeldern gefügig machte, blieb unklar. Dafür soll der inzwischen pensionierte Strabag-Sachsenchef Manfred Z. aus Leipzig zuständig gewesen sein. Der könnte nach bisherigen Erkenntnissen der Kopf des Systems sein. Er soll den Kontakt zu Präsident Volker S. und einem Abteilungsleiter des Autobahnamtes gehalten haben. Auch den finanziellen Kontakt. Möglicherweise sogar selbst Geld gefordert, um den Betrug weiter zu decken. Gewusst haben sollen sie davon auf jeden Fall. Genaueres wird ermittelt. In den nächsten Monaten und vielleicht auch Jahren werden Prozesse folgen. Strabag-Direktionsleiter Manfred Z. und Behördenchef Volker S. könnten den Ausschreibungs- und Rechnungsbetrug unter sich ausgemacht haben. Soviel scheint der Staatsanwaltschaft dank Iblers Aussagen nun klar. Vielleicht gibt es sogar Mitwisser in Dresden. „Wir zweifeln an, dass das Wirtschaftsministerium nichts wusste“, erklärte Rechtsanwalt Martin Wissmann in seinem Plädoyer frei heraus. Zumindest dürfte die Kontrolle der Bauprojekte diese Bezeichnung nicht verdient haben. Wissmann glaubt, dass ähnliche Fälle bei Nachprüfungen anderer Autobahnbauten in Sachsen gedeckt werden. „Was wir bis hier erlebt haben, ist die Spitze des Eisberges“, erklärt er. Auch Staatsanwalt und Richter äußern sich ähnlich und verhehlen ihre Freude nicht, dass endlich ein Insider Einblick in sonst kaum zu durchschauende Mauscheleien gibt. Das in Sachsen aufgedeckte System von Betrug, Bestechung, gezielter Insolvenz, Wettbewerbsverzerrung und anderen Delikten soll ei in Deutschland übliches sein. Mit großem Schaden für die Staatskasse. Allein beim Bau der A72 in Sachsen entstand ein volkswirtschaftlicher Schaden von 27 Millionen Euro.

Der Österreicher Günther Ibler war nicht der Kopf des Systems, nicht der große Strippenzieher, der Behörden und Konkurrenz im Griff hat, wenn er mit Scheinen wedelt. Davon waren Staatsanwaltschaft und Gericht aber zunächst ausgegangen. Bis der einstige Strabag-Mann nach langem Schweigen auspackte. Sein Geständnis zog Durchsuchungen in Behörden, Baufirmen und Strabag-Büros nach sich. Nun ist Richter Markus Zimmermann klar, dass es eine Ebene über dem Projektleiter gibt. „Die haben ein eigenes Spiel gespielt“, sagt er und meint, dass dies auch ohne den umtriebigen Bauleiter funktioniert. Der war der Dispatcher des kriminellen Geflechts. Der Manager des Paten. Der ist noch nicht benannt. Doch die Anwärter zeichnen sich ab: Die Strabag-Sachsen-Chef, der Chef des Autobahnamtes, oder ein Ministerieller. Ibler machte die Drecksarbeit und verdiente selbst gut daran. Die Einnahmen aus dem Betrug und dem Fälschen von Rechnungen „kam der oberen Ebene zugute“, sagte der Richter in der Urteilsverkündung. Die Ermittlungen gegen den Vertreter der oberen Ebene laufen. „Von diesen Tätern wüssten wir nichts, wenn Ibler sie nicht eingeräumt hätte“, gesteht Zimmermann. Und es schwingt tatsächlich Dank in der Stimme mit.

Der Verurteilte selbst nimmt das Urteil mit einer leichten Gesichtsrötung hin. Seiner Freundin im Zuschauerraum schießen die Tränen in die Augen. Dennoch verlassen beide recht aufgeräumt das Gericht. Staatsanwalt Jörg Richter glaubt in den zahlreichen Vernehmungen Iblers bemerkt zu haben: „Er war froh, dass es vorbei ist“. Tatsächlich scheint der einstige Manager des Betrugskartells geläutert zu sein. Er will mit einer Selbstanzeige bei den Steuerbehörden auch fiskalisch reinen Tisch machen. Wo er nach der Haftentlassung seinen Lebensunterhalt verdient, weiß er noch nicht. Er weiß nur, es wird daheim in Österreich sein. Und nicht in der Baubranche.

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