Autobahnbetrug weitet sich aus

Großrazzia in Sachsen, Hessen und Berlin – Hinweise auf bestechliche Behördenmitarbeiter
Präsident des Autobahnamtes unter Verdacht (Freie Presse, 31.01.2007)

 

 

Chemnitz. Der Betrugsskandal beim Autobahnbau in Sachsen, dem die Staatsanwaltschaft Chemnitz seit Dezember 2005 auf der Spur ist, hat seit gestern eine neue Dimension. In das kriminelle Netzwerk, dem bisher Schaden von 27 Millionen zugeschrieben wird, sollen auch bestechliche Behördenmitarbeiter verstrickt gewesen sein.


Im Laufe des gestrigen Tages haben acht Staatsanwälte, mehr als 150 Polizisten der Landeskriminalämter Sachsen, Hessen und Berlin sowie Fachleute der Steuerfahndung und des Hauptzollamtes insgesamt 37 Firmensitze und Privatwohnungen in drei Bundesländern durchsucht. Vier Verdächtige wurden wegen vermuteter Bestechlichkeit vorläufig festgenommen. Bei einem Hauptverdächtigen soll es sich um den Präsidenten des Autobahnamtes Sachsen handeln. Das für das Amt zuständige sächsische Wirtschaftsministerium wollte dies nicht bestätigen. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz informiert heute in einer Pressekonferenz über Einzelheiten und Ergebnisse der gestrigen Großrazzia.

Mit dem umfangreichen beschlagnahmten Material wollten die Ermittler Beweise sichern, dass auch Behörden-Mitarbeiter in kriminelle Machenschaften bei der Vergabe von Aufträgen für den Straßenbau einbezogen waren. Nach „Freie Presse“ vorliegenden Informationen wurden auch im Chemnitzer Tiefbauamt zahlreiche Akten beschlagnahmt. Ein Sachbearbeiter soll vorläufig vom Dienst suspendiert worden sein. Möglicherweise ist der Stadt ein beträchtlicher Schaden entstanden. „Wir sind sehr an einer vollständigen Aufklärung der Vorwürfe interessiert“, sagte Stadtsprecher Andreas Bochmann.

Mit der gestrigen Großrazzia verstärken sich Vermutungen, wonach nicht nur beim Autobahnbau, sonder auch ei anderen öffentlichen Straßenbauten unsaubere Geschäfte gelaufen sind. Zumindest finden sich in den bei einer bundesweitern Durchsuchung im Dezember 2005 beschlagnahmten Akten entsprechende Hinweise. Für den Autobahnbau hat die Staatsanwaltschaft folgendes Strickmuster der Betrugsaffäre ermittelt: Die Beschuldigten hatten über Jahre ein Netzwerk von Tiefbaufirmen aufgebaut, das durch Untreue, Insolvenzverschleppung, Vorenthalten von Löhnen und gewerbsmäßigen Betrug Gläubiger und Firmenbeschäftigte geschädigt hat. Gezielt wurden Gesellschaften gegründet, die als Subunternehmen Aufträge erhielten, aber nach kurzer Zeit in die Insolvenz geschickt wurden, um so Forderungen von Auftrag- und Arbeitnehmern ins Leere laufen zu lassen.

Gegen den mittlerweile entlassenen frühere Niederlassungsleiter des Strabag-Baukonzerns, der als Schlüsselfigur des Falls gilt, und gegen einen mehrfach vorbestraften Chemnitzer Unternehmer verhandelt das Chemnitzer Landgericht seit einem Vierteljahr. Ihnen wird vorgeworfen, den Geschäftsführer einer Tiefbaufirma 2004 zum Betrug angestiftet zu haben. Allerdings ist dieser erste abgekoppelte Prozess nur die Spitze des Eisberges der vermutenden Betrügereien. Dazu gehört auch der Mord an einem Plauener Paar im April 2003 in der Dominikalischen Republik. Bei dessen Aufklärung fanden die Ermittler erstmals Hinweise auf kriminelle Machenschaften beim Ausbau der A 72. Der seinerzeit ermorderte Plauener Bauunternehmer Peter Pappe gehörte zum kriminellen Umfeld beim Autobahnbau, wollte sich aber mit 135.000 Euro in die Karibik absetzten. Zwei der Mordverdächtigen wurden bereits verurteilt, ein weiterer steht noch vor Gericht.